Gewaltbewältigung

Von Ali Ahmad

Wien: Die österreichischen Medien berichten oft über jedes Verbrechen und sexuelle Übergriffe, die afghanische Flüchtlinge in den letzten Jahren begangen haben. Die Medienhäuser verstärken nur wenige mutmaßliche Vergewaltigungsfälle und bringen die gesamten afghanischen Diaspora Community unter enormen Druck. Dies kann eine beabsichtigte oder interessenorientierte Politik der Medien sein oder geschieht aufgrund des zunehmenden fremdenfeindlichen und afghanophobischen Umfelds in Österreich. Ein weiterer Faktor, der die anti-afghanische Debatte anheizt, ist das männliche Gesicht der afghanischer Flüchtlinge und Migranten, die seit 2015 nach Österreich gekommen sind.

Das Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) führt derzeit in Zusammenarbeit mit afghanischer Diaspora Vereine von Januar bis Mai 2019 in Wien eine Reihe interkultureller Gender-Trainings durch. Diese Workshops sind Teil des von der EU finanzierten WANNE-Projekts („We All Need New Engagement“), das sich „Männer ohne Gewalt“ nennt und sich auf Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen konzentriert. Ziel dieser Workshops ist es, afghanische Männer und Jungen im Kampf gegen gender-basierte Gewalt und patriarchalische Strukturen zu schulen. Diese Workshops werden mit Tandems durchgeführt, einem Paar von Gender-Trainern, bestehend aus einem afghanischen männlichen Trainer und einem österreichischen / europäischen Partner. Die Teilnehmer der Workshops sind zwischen 16 und 35 Jahre alt, und die Trainers verwenden unterschiedliche Methoden, aus der geschlechtersensiblen Jugend – und Erwachsenenarbeit, um ihre Ansichten zu Geschlecht, Gewalt, Familie, Liebe und Rassismus zu hinterfragen.

Einer der wichtigsten afghanischen Vereine, die mit dem VIDC zusammengearbeitet hat, um erfolgreich vier interkulturelle Gender-Training Workshops für afghanische Männer durchzuführen, ist der Verein für Afghanische Kultur, Integration und Solidarität (AKIS). AKIS ist eine der aktivsten afghanischen Diaspora-Organisationen in Österreich mit mehr als 20 Jahren Erfahrung, afghanische Flüchtlinge bei der Integration in ihre neue Heimatland zu unterstützen. Es ist einer der engagiertesten afghanische Verein, der verschiedene Empowerment-Programme für afghanische Frauen zur Verfügung gestellt und Männer zur Integration in die österreichische Gesellschaft unterstützt hat. Ghoussudin Mir, Gründer und Direktor von AKIS, ist auch der Mann hinter der Zeitschrift „Banu“ (Frau), dem einzigen vierteljährlichen Magazin für afghanische Frauen in Europa.

Die Trainers führten alle vier Workshops gleichzeitig auf deutscher und in afghanischen Sprachen (Paschto und Dari) durch. Dies ermöglichte es mehreren Teilnehmern, verschiedene Themen in ihrer Muttersprache zu reflektieren. Herr Mir freute sich auf die Art und Weise, wie diese Schulungen organisiert wurden. „Afghanen kommen aus einer sehr konservativen Gesellschaft. Sie haben völlig unterschiedliche Ansichten zu Frauen, Menschenrechten, Homosexuellen und Demokratie. Daher sind diese Workshops besonders wichtig, wenn sie in afghanischen Sprachen abgehalten werden “, sagte Mir am Ende der Workshops.

Herr Mir stellte den Raum im AKIS zur Verfügung und rekrutierte bis zu 20 Teilnehmer aus verschiedenen ethnischen Gruppen für vier Workshops, die im Februar 2019 in Wien stattgefunden hat. Jeder der vier Workshops dauerte drei Stunden und hatte jeweils ein spezifisches Thema. 1) Wann ist ein Mann ein Mann? 2) Gemeinsam verschieden, 3) Liebe und Respekt und 4) woher kommst du denn?

In Modul 1 reflektierten die Teilnehmer kritisch über Männlichkeit und wie ihre Sicht auf die Geschlechter durch die Lebenswirklichkeit beeinflusst wird. Sie hatten die Chance, zwischen den Konnotationen der Geschlechter zu unterscheiden. „Geschlecht im Sinne von biologischem Geschlecht und Gender im Sinne der sozialen Konstruktion des Geschlechts.“ Was sind die Vor- und Nachteile von Männlichkeiten? Das erste Modul war auch eine Einführung in die restlichen Workshops und die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, sich mit den Trainern und untereinander auszutauschen.

„Gleiche Rechte für Frauen und für uns selbst. Wir leben in Österreich und wir müssen die Afghanistan Mentalität der Männer vergessen “, äußerte ein Teilnehmer in der Debatte. Für manche Teilnehmer waren „Männlichkeit“, die Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Familie zu sorgen, der bestimmenden Faktor.

Gemeinsam verschieden und Intersektionale Männlichkeiten waren das Thema des zweiten Workshops. In diesem Modul diskutierten die Teilnehmer, wie die Männlichkeit durch verschiedene Elemente beeinflusst wird. Die Diskriminierung afghanischer Homosexueller in der afghanischen Gesellschaft und der durch soziale und kulturelle Faktoren ausgeübt wird. Druck auf homosexuelle Personen war ein sehr wichtiges Thema der Diskussion. Die tägliche Diskriminierung aufgrund von Migration und Bildung, religiöser Vereinigung, sexueller Orientierung und Diskriminierung bei der Jobsuche und der Mietung von Wohnungen ist für die Afghanen in Österreich eine große Herausforderung. Die Teilnehmer tauschten sich aus, wie afghanische Männer von diesen Herausforderungen und Stereotypen beeinflusst werden können.

„Homosexualität war für mich ein interessantes Thema. Natürlich ist es in unserer Kultur verboten, aber hier ist es völlig normal. Es war hilfreich, die Meinung der anderen Teilnehmer über Homosexualität zu erfahren. Ich nehme viel Positives aus diesen Workshops mit.“, sagte Zalmai Saeedi, eine 23-jährige Teilnehmer.

Modul 3 konzentrierte sich auf Liebe und Respekt in der Beziehung und wie man Gewalt vermeiden kann. Die Teilnehmer hatten Gelegenheit, über verschiedene Formen der Beziehung nachzudenken, einschließlich über Liebe und Romanze. Das Art des Verliebens war ein interessanter Aspekt beim Aufbau einer Beziehung. Gender-basierte Gewalt und Gewalt in Beziehungen bzw. ihre Vermeidung war ein wichtiger Teil dieses Moduls. Die Trainer führten getrennte Diskussionen mit unterschiedlichen Methoden über gute/schlechte Beziehungen und Toleranzgrenzen durch. Den Teilnehmern wurden spezifische Beziehungsgeschichten präsentiert, damit sie Lösungen finden konnten.

Mehrere junge Afghanen äußerten ihre Zufriedenheit darüber, die Workshops besucht zu haben und sehr tabuistische tabuisierte Themen diskutieren zu können. Gewalt gegen Frauen und Homosexualitätsthemen beschäftigten den 16-jährigen Maisam Ahmadi. Er sagte, er habe noch nie so offen über solche Tabuthemen gesprochen hat wie in diesen Workshops. „Ich habe noch nie über Gewalt gegen Frauen und über Homosexualität gesprochen, aber wir haben sie so offen wie möglich hier diskutiert“, sagte Ahmadi.

In Modul 4 haben die Teilnehmer Rassismus und Diskriminierung aufgrund des Herkunftslandes die Teilnehmer besprochen. Rassismus im Alltag und in den Medien und strukturelle Diskriminierung der Migranten Organisationen war das Hauptthema des letzten Workshops. Die Trainer halfen den Teilnehmern, rassistischer Ansichten und Diskriminierung zu überwinden. Einige der wichtigsten Fragen in diesem Modul waren: Wie können sich geschlechtergerechte, antirassistische und emphatische Positionen in der Öffentlichkeit etablieren? Wie können Diskriminierungen und Rassismus langfristig überwunden werden? Und welche Rolle spielen dabei neue, gesunde Entwürfe von Männlichkeiten?

Viele Teilnehmer sagten, sie hätten die Auswirkungen des Rassismus in ihrem Leben unterschätzt, als sie zum ersten Mal nach Österreich gekommen sind. Rassismus und Diskriminierung haben ihre Ansichten insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und bei öffentlichen Verkehrsmitteln geändert. „Ich dachte, Rassismus existiert nur unter afghanischen Ethnien, habe aber erfahren, dass er in Österreich enorm ist. Als ich in 2015 zum ersten Mal kam, ich habe bemerkt, wie sich die Wahrnehmung der Menschen gegenüber den Migranten verändert hat,“ sagte ein Teilnehmer.

„Rassismus ist ein nie endendes (never-ending) Problem. Niemand kann es aufhalten, aber wir müssen viel arbeiten, um es zu minimieren “, sagte ein anderer Teilnehmer.

 

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