Ein Interview von Herrn GHOUSUDDIN Mir, durchgeführt von der freien Journalistin Arina Sherzai über seine Person, Leben und Ziel

Interview mit Herrn Ghousuddin Mir, dem Obmann des afghanischen Kulturvereins, Leiter des Beratungszentrums für afghanische Flüchtlinge und Herausgeber der Frauenzeitschrift Banu.

BANU: Zunächst möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie Zeit für uns gefunden haben.

Mir: Vielen Dank für die Einladung.

BANU: Ich habe mich mit Ihrer Persönlichkeit beschäftig und da fiel mir gleich eine Frage ein. Sie sind sowohl Obmann des afghanischen Kulturvereins AKIS, mit welchem Sie sowohl in Europa, als auch in Afghanistan sehr aktiv sind, Leiter des Beratungszentrums für afghanische Flüchtlinge in Wien, das – wie ich beobachten konnte – stark frequentiert wird, bringen einmal im Quartal die Zeitschrift Banu heraus und arbeiten daneben Vollzeit als Jugendbetreuer beim Don Bosco Flüchtlingswerk – wie schaffen Sie das?

Mir: (lacht) Gute Frage. Zunächst dürfen wir nicht vergessen, dass es sich bei all den genannten Aktivitäten um soziales Engagement handelt. Mir ist es ein sehr großes Anliegen den Menschen zu helfen, ihre Situation zu verbessern und einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Dafür nehme ich gerne in Kauf, dass ich keine Freizeit und Erholung habe.

Weiters muss angemerkt werden, dass ich eine wundervolle Ehefrau habe, die mich, obwohl sie selbst Vollzeit beschäftigt ist, mit Tat und Kraft unterstützt. Sie steht nicht hinter mir, sondern wir schreiten diesen Weg gemeinsam.

BANU: Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang als Obmann. Wie kamen Sie darauf, den afghanischen Kulturverein in Österreich zu gründen?

Mir: Ich selbst musste aufgrund des tobenden Bürgerkrieges aus Afghanistan im Jahr 1993 fliehen. Damals machte ich Bekanntschaft mit dem ehemaligen ÖVP Politiker Herrn Prof. Ermacora. Dieser lud mich ein, nach Österreich auszuwandern. In Österreich eingelangt, sah ich mich vielen Schwierigkeiten hilflos ausgesetzt, da ich die Sprache nicht beherrschte und mir das Behördensystem fremd war. Dennoch war es mein Ziel, hart zu arbeiten und meine Familie nachzuholen.

Ich fing sehr klein an. Obwohl ich in Afghanistan einen Hohen Rang als Major hatte, war ich dennoch bereit, in Österreich auch zu putzen – ich war mir für keine Arbeit zu schade. Im Jahr 1995 konnte endlich meine Familie nach Österreich einreisen.

Eines Tages dachte ich über die Schwierigkeiten bei meiner Einwanderung nach und darüber, dass es keine Anlaufstelle für uns Afghanen gab, bei denen wir uns erkundigen konnten. Da kam mir die Idee, einen afghanischen Kulturverein zu gründen.

BANU: Was waren bzw. sind die Ziele des Vereins?

MIR: Zunächst war es unser Ziel, den Afghanen, welche aufgrund des Bürgerkrieges nach Österreich fliehen mussten, mit Information und tatkräftiger Unterstützung den Neustart und die Integration in der neuen Heimat zu erleichtern. Als wir in den Medien nur mehr negative Beiträge über Afghanistan vernahmen, wollten wir auch den Österreichern die wahre Kultur Afghanistans zeigen und ihnen vermitteln: „Nicht alle Afghanen gehören zu den Taliban!“ Wir fingen an, Feste zu kulturellen Anlässen zu organisieren. Mittlerweile haben wir weitreichende Ziele für Österreich, aber auch für ganz Europa und Afghanistan. Von der Unterstützung der Flüchtlinge bis hin zur humanitären Hilfe vor Ort in Afghanistan.

Der Kulturverein AKIS ist kein Verein des Stillstands. Wir gehen mit der Zeit und passen uns den Bedürfnissen der Gesellschaft an, erweitern unsere Ziele entsprechend und setzen uns Schwerpunkte.

BANU: Bitte stellen Sie den afghanischen Kulturverein vor. Seine Aktivitäten, seine Entwicklung…

MIR: Seit der Gründung des Vereins sind wir eine Anlaufstelle für afghanische Flüchtlinge bei Fragen zu Asyl, Amtswegen und anderen Problemen. Bei Sterbefällen haben wir je nach Wunsch die Beerdigung in Österreich oder in Afghanistan organisiert. Auch bei Familienstreitereien wird unser Verein oft als Vermittler beigezogen.

In der Flüchtlingsthematik ist es dann soweit gegangen, dass ich den Verein Solidarität mit afghanischen Flüchtlingen im Jahr 2001 gegründet habe. Wir wollten damit europaweit fungieren. Wir haben Interviews mit freiwilligen Rückkehrern durchgeführt.  (Diese wurden von EACR – European Association for Cancer Research)

Auch haben wir in Griechenland zwischen Polizei und afghanischen Flüchtlingen vermittelt, die sich über die harte Vorgehensweise der Beamten beschwerten. Später habe ich die Funktion des Obmanns an Frau Sherzai abgetreten.

Wir haben dann 2005 die erste afghanische Frauenzeitschrift „BANU“ in Europa herausgebracht. Die Idee stammt von einer Afghanin, Frau Afschar, die leider frühzeitig aus dem Projekt ausgestiegen ist. Ich habe aber immer an der Idee festgehalten, dass BANU ein sehr wichtiges Medium für die afghanischen Frauen ist, um sich zu informieren und weiterzubilden.

BANU: Zum Glück

MIR: Ja. Außerdem veranstaltet der afghanische Kulturverein kulturelle Veranstaltungen, wie das Naurozfest, Dichterlesungen und Konzerte von berühmten afghanischen Sängern. Hierbei muss ich ein sehr großes Dankeschön an die Kulturabteilung der Stadt Wien, Magistratsabteilung 7, aussprechen. Diese waren seit unserer Gründung eine große Stütze für den Verein.
Auch im Bereich Jugend und Sport waren wir sehr aktiv. Wir haben für Jugendliche Integrationsfußballturniere veranstaltet. Diese nannten wir Kleine WM, weil so viele verschiedene Nationalitäten vertreten waren. Außerdem haben wir Schachturniere veranstaltet.
Daneben haben wir Muttersprachkurse und Nachhilfe in Deutsch und Mathematik angeboten, mussten aber dann aufhören.

BANU: Entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber warum mussten Sie mit den Kursen aufhören?

MIR: Wir hatten leider keine finanzielle Unterstützung. Eine Zeit lang habe ich es von meinem eigenen Privatbudget bezahlt, aber ich habe eine eigene Familie die auch Bedürfnisse hat. Daher musste ich einen Schlussstrich ziehen, obwohl der Kurs sehr beliebt bei den Kindern war.

Banu: Schade. Bitte fahren Sie fort mit den Aktivitäten.

Mir: Wir leisteten auch Unterstützung für Waisenkinder und Witwen in Afghanistan. Neben Geld- und Sachspenden an Waisenkinder, haben wir eine Mädchenschule beim Bau von Klassenräumen, Trinkwasserpumpen und Sichtschutz für den Sportplatz unterstützt.
Wir haben auch einige Konferenzen organisiert, an denen viele Politiker und Afghanistanexperten teilgenommen haben.
Selber wurden wir auch zu vielen Seminaren über Afghanistan europaweit eingeladen.
Im Jahr 2015, als sich die Flüchtlingskrise ereignete, mussten wir unsere Bemühungen verstärken. Dank des Bundesministeriums für Inneres konnten wir ein Beratungszentrum für afghanische Flüchtlinge in Wien eröffnen, wo neben der Beratung auch Wertekurse stattfinden.

BANU: Bitte erzählen Sie einige ihrer Erfolge und schönsten Momente.

MIR: Naja. Das hängt von der Tätigkeit ab. Hinsichtlich unserer Tätigkeit als Anlaufstelle habe ich viel zu viele schöne Momente gehabt. Zusammengefasst kann ich aber sagen, dass ich immer einen schönen Erfolgsmoment habe, wenn ich einem Menschen bei seinem Anliegen helfen kann. Das besondere daran ist, dass es sich noch immer so anfühlt wie im Jahr 2001 als ich den Verein neu gegründet habe.
Bei den kulturellen Veranstaltungen denke ich an das Naurozfest 2009. Wir hatten mehrere tausend Besucher verschiedener Herkunft. So viele Afghanen, Österreicher, Iraner, Türken, Kurden, Inder und andere kamen zu unserem Fest und feierten friedlich und ohne Vorurteile das neue Jahr. Es war das erste Mal, dass wir, besser gesagt, dass überhaupt ein afghanischer Kulturverein in Österreich, über 2.000 Besucher bei einer Veranstaltung erreichte.


In Afghanistan selbst konnten wir einen Trinkbrunnen, einen Sichtschutz und ein Dach für eine Schule bauen. Hier ein großes Dankeschön an Jugend eine Welt und an die Privatspender. Jedes Mal wenn ein Projekt fertig war, stürmten die Kinder auf mich zu und bedankten sich bei mir und den Spendern für die Unterstützung, sodass mir jedes Mal die Tränen kamen.
Auch wenn mir die Waisenkinder nach Sach- und Geldspenden versprechen, weiter die Schule zu besuchen oder wieder Lernen zu gehen, ist es für mich ein Erfolgsmoment. Hier auch ein großes Dankeschön an alle Privatspender.
Im Beratungszentrum für afghanische Flüchtlinge gab es zweierlei schöne Momente. Der erste war, als ich merkte, dass das Beratungszentrum so gut von den Anrainern, Einheimischen, diversen Institutionen, Vereinen, Politikern und NGOs angenommen wurde. Hier ein großes Dankeschön an das Bundesministerium für Inneres, das uns diese Möglichkeit gegeben hat, so ein wundervolles Projekt auf die Beine zu stellen.
Der zweite schöne Moment ist das Feedback der Kunden. Einige sind vor Freude in Tränen ausgebrochen und haben gesagt, dass es endlich eine Institution gibt, die verständlich in der eigenen Muttersprache Beratung und Kurse anbietet. Viele Jugendliche sind nach den Wertekursen zu mir oder zu den Beratern gekommen und haben sich für den tollen Unterricht bedankt. Sie haben viele Sachen nicht gewusst und hätten sicher einige Fehler begangen, wenn sie die Wertekurse nicht besucht hätten. Das ist natürlich ein schöner Moment.

BANU: Haben Sie für diese tolle Arbeit, die Sie leisten, auch Anerkennung erhalten?

MIR: Ich mache die Arbeit nicht, um Anerkennung zu erhalten, sondern weil es mir Freude bereitet. Dennoch haben wir einige Auszeichnungen erhalten.

BANU: Können Sie bitte einige aufzählen.

MIR: Vom afghanischen Sportkomitee in Europa erhielt ich zur Ehrung der Bemühungen im Bereich Sport eine Medaille.
Vom Bürgermeister von Kabul erhielt ich eine Medaille für meine Bemühungen im Bereich Hilfe vor Ort.
Vom ersten Landtagspräsidenten Herrn Prof. Kopietz erhielt ich den goldenen Rathausmann für wertvolle Verdienste im Bereich Kultur und Integration.
Vom Peace Museum im 1. Bezirk wurde ich zum Peace Hero 2015 gekürt.
Aufgrund unserer Tätigkeiten wurde ich auch vom amtierenden Vizepräsidenten Afghanistans Herrn Dr. Abdullah Abdullah sowie der Gattin des amtierenden Präsidenten Herrn Dr. Ashraf Ghani persönlich empfangen.

BANU: Worauf sind sie bei AKIS am meisten stolz?

MIR: Dass wir niemanden aufgrund seiner Volksgruppe, Herkunft, Religion oder Geschlecht ausgrenzen und bereit sind, mit allen zusammenzuarbeiten, solange sie nicht nationalistisch, radikal oder extrem sind.

BANU: Was sind ihre Ziele für die Zukunft?

Mir: Natürlich mindestens weiterzumachen wie bisher und uns stets zu verbessern.

BANU: Vielen Dank für das Interview!

Mit freundlichen Grüßen
Mir Ghous Uddin
Obmann des Vereins AKIS und
Leiter des Beratungszentrums für
Afghanische Flüchtlinge in Österreich
Capistrangasse 10,
1060 Wien

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